Horror-Romanze „Bones and All“ im Kino: Ein unstillbares Verlangen (2024)

„Bones and All“ ist ein blutiges Roadmovie über junge Kannibalen. Trotz verstörender Szenen ist es auch ein Film über eine alles verzehrende Liebe.

Verliebte Kannibalen: Maren (Taylor Russell) und Lee (Timothée Chalamet) Foto: Warner Bros. Pictures

Wir „verzehren“ uns nach einander. Etwas weniger elegant ausgedrückt, haben wir uns „zum Fressen gern“, wollen einander „vernaschen“ oder finden uns „zum Anbeißen“. Begehren und Hunger sind in der Sprache der Liebe – ein Phänomen, das bekanntlich „durch den Magen geht“ – erstaunlich eng miteinander verknüpft. Der Autor Senthuran Varatharajah geht in seinem Roman „Rot (Hunger)“ sogar so weit, sie als eine „kannibalische Sprache“ zu bezeichnen.

Ist man sich dieser Verknüpfung einmal bewusst, scheint es gar nicht mehr so abstrus, dass der italienische Regisseur Luca Guadagnino in „Bones and All“ ausgerechnet von einer Romanze zwischen zwei Kannibalen erzählt.

Die Liebenden im Zentrum haben wenig mit den auf fürchterliche Weise nüchternen Beispielen des echten Lebens, wie dem „Kannibalen von Rotenburg“, oder bekannten fiktiven Figuren wie „Hannibal Lecter“, gemein. Wenn überhaupt, erinnern Maren (Taylor Russell) und Lee (Timothée Chalamet) an eine lässig-verlotterte Millennial-Version von „Bonnie und Clyde“. Eine, die allerdings irgendwann in den Achtzigern ihr Unwesen treibt.

Allein zurückgelassen

Bevor sie zueinander finden, konzentriert sich das auf einem Jugendroman von Camille DeAngelis basierende Drehbuch von David Kajganich, der zuletzt für „Suspiria“ mit Luca Gua­dagnino zusammenarbeitete, allein auf Maren. Ihr Vater (André Holland) lässt sie nach einer weiteren ihrer Hungerattacken, während der sie den Finger einer Mitschülerin verschlang, mit etwas Geld, ihrer Geburtsurkunde und einer Kassette zurück. Darauf beschreibt er ihr die Entwicklung ihrer „Ausrutscher“, auf dass sie selbst daraus schlau werde.

Von da an setzt „Bones and All“ zu einem schaurig-schönen Roadmovie an. Nun vollkommen auf sich allein gestellt, will Maren ihre Mutter ausfindig machen, um mehr über ihre Lust auf Menschenfleisch herauszufinden. Dass sie mit der nicht alleine ist, erfährt sie durch eine Begegnung mit einem gealterten Gleichgesinnten, Sully (Mark Rylance). Menschen wie sie werden als „Eater“ bezeichnet und können verwandte Seelen über einige Entfernung „erriechen“.

„Bones and All“. Regie: Luca Guadagnino. Mit Taylor Russell, Timothée Chalamet u. a. Italien/USA 2022, 131 Min.

Was den kannibalischen Drang auslöst, erklärt der Film nicht. Ebenso wenig ist er als eindeutige Metapher zu erkennen, wobei er sich durchaus als Verweis auf Sucht im Allgemeinen lesen lässt. Dass sich der Kannibale anders als der Vampir nicht recht zum Symbolbild eignet, liegt wahrscheinlich allein schon am Fehlen jeder überwirklichen Komponente. Der Horror, der von ihm ausgeht, ist schlicht zu real. Noch dazu lässt er die anziehende Eleganz vermissen, die den Blutsauger-Mythos am Leben hält.

Familienfotos des Opfers

Wie Anthropophagie aussehen kann, führt „Bones and All“ erstmals vor Augen, wenn Sully seine gerade verstorbene „Beute“ mit Maren teilt und sie gemeinsam ihre Zähne in das Fleisch einer alten Frau bohren, es ihr geradezu von den Knochen reißen. Die Kamera ist besonders effektvoll, wenn sie im nächsten Augenblick wegschwenkt, über die persönlichen Besitztümer des Opfers gleitet, Familienfotos einfängt und so schonungslos die Tragweite des qua seiner Absurdität zunächst fast komisch wirkenden Geschehens ins Gedächtnis ruft.

Grauen und Liebreiz wechseln sich in dieser erstaunlichen Genremischung, zu der sicherlich auch eine Portion „Coming-of-Age“-Flair gehört, kontinuierlich ab. Das gilt insbesondere für die Liebe zwischen Maren und Lee, deren Wege sich kurz darauf kreuzen. Während sie ihrer Veranlagung noch mit großen Skrupeln begegnet, legt er in zerschlissenen Jeans und mit der Andeutung eines pink gelockten Vokuhilas eine abgebrühte Coolness an den Tag. Aufgrund dieser Unterschiedlichkeit ist die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern nicht unmittelbar spürbar.

Dass Begehren und Hunger später durchaus zu einem einzigen Verlangen verschmelzen, passt zu den wiederkehrenden Motiven in Guadagninos Filmografie

Erst ganz allmählich entsteht während ihrer Odyssee durch US-amerikanische Kleinstädte eine Verbindung. Etwa, wenn sie sich gegenseitig die Geschichte ihres „ersten Mals“ anvertrauen und darüber lachen, dass es sich in beiden Fällen um den Babysitter handelte – wobei es eben nicht um das erste sexuelle Erlebnis, sondern das erste „menschliche Mahl“ geht.

Interesse an Grenzüberschreitungen

Dass Begehren und Hunger später durchaus zu einem einzigen Verlangen verschmelzen, passt zu den wiederkehrenden Motiven in Guadagninos Filmografie, die seit jeher ein Interesse am Erzählen von Sexualität als bittersüße Grenzüberschreitung erkennen lassen. Man erinnere sich an den bedeutenden Altersunterschied zwischen Elio (ebenfalls Chalamant) und Oliver (Armie Hammer) in „Call Me by Your Name“. In „Bones and All“ zeigt sie sich in einer besonders gewaltsamen Szene, in der Lee ein männliches Opfer mit der Hand befriedigt, um ihm just im Moment der Klimax die Kehle aufzuschneiden – und so den kleinen zum ultimativen Tod werden lässt.

Der knapp über zweistündige Film setzt sich aus vielen derartigen Begegnungen zusammen, wobei sich „Bones and All“ – auch das ist man vom Regisseur gewohnt – mitunter ein wenig zu lange an wunderschönen Einstellungen ergötzt, anstatt die Handlung voranzubringen. Diese, trotz allem, ästhetisch bestechenden Bilder sind es, zusammen mit der konträr zu den Ereignissen melancholisch-zarten Musik von Trent Reznor und Atticus Ross, die den Film niemals gänzlich in Horror abgleiten lassen.

So stellt sich selbst das kraftvolle, wenn auch etwas forciert wirkende Finale mehr als kompromissloser Akt der Leidenschaft denn als Schreckensszenario dar. Für Guadagnino bestünde ein solches wahrscheinlich ohnehin viel mehr im allzu Angemessenen und Anständigen. Ob man in ­„Bones and All“ am Ende mehr sehen kann, als ein auf charmante Weise provokantes Gedankenspiel über die wortwörtlich alles verzehrende Liebe, sei dahingestellt. Aber das ist für sich genommen ja schon ganz schön viel.

.

Horror-Romanze „Bones and All“ im Kino: Ein unstillbares Verlangen (2024)

FAQs

Are bones and all disturbing? ›

Bones and All was a heartbreaking love story between two lost young adults trying to find their way. Although this movie is gruesome, extremely violent and may receive backlash for fetishizing cannibalism, it is an overall beautiful film.

What is Bones and All About summary? ›

How gross are bones and all? ›

Rated R for strong, bloody and disturbing violent content, language throughout, some sexual content and brief graphic nudity.

What year does Bones and All take place? ›

Set in the late 1980s, the film stars Taylor Russell and Timothée Chalamet as a young pair who flee together on a road trip across the United States of America and develop feelings for each other.

What are the trigger warnings for Bones and All? ›

Rated R for strong, bloody and disturbing violent content, language throughout, some sexual content and brief graphic nudity.

Is Bones and All sad ending? ›

The ending of Bones And All is not for the faint of heart. It's upsetting, disturbing, and gory, but it's also tragic. Maren finds out from Lee's sister Kayla (Anna Cobb) that their dad, who abused them and drank too much, hurt them and then disappeared.

Is Marens dad an eater? ›

Maren's father, Frank (André Holland) is her Black parent. He's also not an “eater.” Parenting her, we learn, has been a matter of attempting to suppress, contain, and control her appetites while shouldering the fiscal, social, legal, and spiritual consequences when that endeavor inevitably fails.

Why does Marens' dad lock her in her room? ›

She's only recently arrived, she doesn't have many friends, and her strict dad (André Holland) locks her in her room at night. But when she sneaks out to join the other girls for a sleepover, the reason for her father's caution becomes apparent. It's not to protect her from the world, but to protect the world from her.

Why did Maren eat Lee in the book? ›

Sully attacks Maren, revealing himself to be her grandfather and planning on killing and eating her, but Lee intervenes, only to be mortally wounded in the process. As an act of love and devotion, and to please Lee, Maren gives in and eats him, "bones and all", a rite of passage for cannibals like her.

How bad is the gore in Bones and All? ›

Some episodes portray autopsies which involve body's or organs being cut open and occasionally faces being sliced into and peeled from the bones. Some gunshots in some episodes. Other gory moments like a man sewing his face or a woman covered in blood.

Did Sully eat Kayla? ›

At some point during all the action, his bag is knocked over, and the braid spills out. Maren notices Kayla's bright blonde hair as the most recent addition to it and understands that Sully must have used her to find out where Maren and Lee were living and then eaten her.

Who has 26 bones? ›

Each foot has 26 bones, which makes 52 in both feet. bodies!

Was Bones and All filmed in Nebraska? ›

That's the Ogallala Grasslands in northwestern Nebraska. It's a really special place—one of those places that nobody goes to. It's a couple of hours out of the Black Hills in South Dakota, kind of near Wyoming.

Who is Kayla in Bones and All? ›

Bones and All (2022) - Anna Cobb as Kayla - IMDb.

How old is Maren in Bones and All? ›

Related Stories. Bones and All introduces us to 18-year-old Maren (Taylor Russell), whose father (André Holland, superb as ever) abandons her, leaving only a small wad of cash, her birth certificate, and a cassette recording explaining his decision. You know, the whole cannibal thing.

Does Bones and All have inappropriate scenes? ›

Sex & Nudity (4)

Woman is seen shirtless, and her breasts are visible from the side. A man masturbat*s another, offscreen. We see brief movement from a far and hear lots of pleasured moaning. A sustained scene of strong sexual threat when a man, whose motives are unclear, pins a young woman to a bed.

What age are Bones and All appropriate for? ›

Does Bones and All have jumpscares? ›

Much like Guadagnino's Suspiria, there are plenty of graphic moments (both visually and auditorily!) in Bones and All that stick with you hours after the film has finished; but in place of the traditional and expected horror tropes such as jump scares, a chilling high-pitched score, or terrifying low-lit sequences, we' ...

Is Bones appropriate for 13 year olds? ›

I think kids/young teenagers could freak out and dream nightmares because of the corpses so I wouldn't recommend it to anyone under 14 (from what I've seen, I'll update this when I've seen more). Also the corpses may not be a problem for younger audiences but the storylines and the sexual jokes may be.

References

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Greg O'Connell

Last Updated:

Views: 6554

Rating: 4.1 / 5 (62 voted)

Reviews: 93% of readers found this page helpful

Author information

Name: Greg O'Connell

Birthday: 1992-01-10

Address: Suite 517 2436 Jefferey Pass, Shanitaside, UT 27519

Phone: +2614651609714

Job: Education Developer

Hobby: Cooking, Gambling, Pottery, Shooting, Baseball, Singing, Snowboarding

Introduction: My name is Greg O'Connell, I am a delightful, colorful, talented, kind, lively, modern, tender person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.